Das Schreiben von Drei-Wort-Geschichten macht Spaß, ist aber oft auch ziemlich kniffelig. Kurz vor Jahresende gab es folgende Wörter:

  • Ort: Kreißsaal
  • Person: Henker
  • Gegenstand: Sparschwein

Bei der folgenden kleinen Geschichte habe ich es mit der Person nicht so genau genommen. Das machen wir alle mal, Hauptsache, die Wörter kommen in der Geschichte vor. Hier ist nicht der Henker der Protagonist meiner Erzählerin, sondern ein junges Mädchen. Schwierig war in meiner Geschichte die Zeitfindung, denn den Henker und einen Kreißsaal gemeinsam unterzubringen, ist nicht einfach. Ich bin von der frühestmöglichen Zeit für eine Einrichtung wie dem Kreißsaal ausgegangen, also dem 18. Jahrhundert. Damals gab es auch noch Henker. Die 2.400 Anschläge wurden in etwa eingehalten.

Ausgeliefert

Clarissas Hand umschloss die tönerne Sau so fest, dass sie Angst bekam, das Schwein zu zerdrücken. Tränen liefen ihr über das Gesicht, als sie sich an den Tag erinnerte, an dem der Vater ihr die Figur geschenkt hatte. Aus Ton hatte er sie geformt, ausgehöhlt und schließlich einen tiefen Schlitz eingefügt.
„Pass auf dein Sparschwein gut auf. Da kommt jeder Pfennig hinein, den wir erübrigen können. Wenn du eines Tages heiratest, soll es an nichts fehlen.“
Clarissa wusste, dass selten ein Pfennig übrig blieb. Aber sie hatte mit Botengängen kleine Münzen verdient und was sie nicht zu Hause abgeben musste, fleißig gespart. Doch nach Vaters Tod war es damit vorbei gewesen.

Blutend lag die Mutter seit dem gestrigen Abend auf ihrer Matratze. Clarissa hatte die Angst in ihren Augen gesehen, als die alte Berta die Kammer verlassen hatte.
„Kein Wort zu niemandem“, hatte die Alte gezischt. „Sonst holt uns alle der Henker.“
Clarissa verstand nicht, wie die Mutter zu dem Kind gekommen war. War der Vater doch schon seit über zwei Jahren tot. Konnte sich ein so kleines Wurm so lange im Bauch verstecken? Oder hatte es doch etwas mit den Besuchen des Krämers zu tun? Er stundete ihnen neuerdings, was Mutter bei ihm einkaufte. Die Leute tuschelten schon. Eine der Nachbarinnen hatte sie kürzlich zur Seite genommen.
„Pass auf dich auf, Kleine. Noch kann ihn Else um den Finger wickeln. Aber der Pfeffersack hat es auf dich abgesehen.“

Clarissa war bei diesen Worten eiskalt geworden. Sie wusste zwar nicht genau, was zwischen Mann und Frau vor sich ging, aber es reichte schon, dass der Krämer sie immer wieder wie zufällig berührte, wenn sich die Gelegenheit ergab. Sie ekelte sich vor seinen feuchten Händen und seinem widerwärtigen Geruch. Und überhaupt hatte sie ganz andere Träume, seit sie zum ersten Mal im Haus des Krämers dem jungen Doktor begegnet war. Man berichtete sich Wunderdinge über ihn. Einerseits.  Andererseits hatte Leah, die geschwätzige Tochter des Kaufmanns, einer Kundin hinter vorgehaltener Hand erzählt, dass der Doktor im neuen Spital in einem dieser sündigen Kreißsäle arbeite. Das müsse man sich mal vorstellen. Keine anständige Frau würde freiwillig dort niederkommen.

Entschlossen klopfte Clarissa an. Das Geld musste einfach für den Doktor reichen. Sie war beim Krämer vorbeigegangen. Er hatte noch zwei Thaler ins Schwein gesteckt, nachdem sie ihm versprochen hatte, wieder vorbeizukommen, sobald die Mutter gesund war.

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